Warum Tierärzte auch mal abgeben sollten

Teilen ist schwer, ich als Mutter erfahre jeden Tag, wie herzzerreißend schwer Teilen sein kann, selbst wenn es nur um ein Stück Schokolade geht. Aber wir alle lernen schon in jungen Jahren, daß Abgeben etwas Gutes ist, man im Leben oft glücklicher ist, wenn man mit anderen teilt. Und manchmal bringt es einen sogar weiter, wenn man gelernt hat, abzugeben. Diese Erkenntnis in Kombination mit dem Wissen, daß man nicht immer alles perfekt können kann, sollte es für einen Tierarzt einfach machen, auch mal abzugeben. Und zwar seine Patienten!

Ein könnte ein alltäglicher Fall aus der Praxis sein: ein zehnjähriger Labrador, nennen wir ihn "Max" kommt zum Impfen, ist zum ersten Mal in der Praxis. Die Besitzerin erzählt mir seine Vorgeschichte: Max, etwas übergewichtig, hatte bereits eine Kreuzband-OP, ihr wurde gesagt, sie soll Max ein Pulver verabreichen, das den Gelenkknorpel im Aufbau unterstützt und ihn nicht so sehr beanspruchen. Auf die Frage der Besitzerin nach seinem Übergewicht und einer der OP angeschlossenen Aufbaubehandlung wurde ihr gesagt, sie soll den Hund auf FDH setzen und beim Gassigehn aufpassen, daß Sie Max nicht überanstrengt. Bereits bei diesem Vorgespräch wirkt die Besitzerin etwas unzufrieden, durch die Halbierung des Futters wäre Max den ganzen Tag hungrig und abgenommen hat er auch nicht so wirklich, weil er jetzt draußen alles frißt, was ihm vor die Nase kommt. Außerdem hätte Sie ja auch schon von diesem BARFEN gehört und würde das gerne mal ausprobieren. Und irgendwie hat Max ja auch an dem operierten Bein jetzt weniger Musekeln als vorher, was sie denn dagegen tun kann....Max Frauchen wird die Praxis mit zwei Adressen in der Hand verlassen. Nachdem ich Max untersucht und geimpft habe, werde ich ihr sowohl die Physiotherapeutin als auch die Ernährungsberaterin meines Vertrauens empfehlen. Denn wir Tierärzte können nicht alles können. Wir können vieles sehr gut, wir können aber auch einiges nur ein bißchen. Ich kann Ihrem Vierbeiner nicht berechnen, wie seine BARF-Ration zusammengesetzt sein muss, damit diese bedarfsgerecht ist. Genau so wenig kann ich mir ein Unterwasserlaufband für 30.000€  in die Praxis stellen, um meinen Patienten nach Gelenksoperationen die Muskulatur aufzubauen. Aber beides wäre für Patienten wie Max wichtig.

Ich höre leider allzu oft von Menschen die "Tiermedizin ergänzend" arbeiten, daß die Zusammenarbeit mit Tierärzten sehr schleppend ist. Oft wird vermutet, daß diese Angst haben, ihnen würden Einnahmen verloren gehen. Manchmal wird die Notwendigkeit dieser Ergänzungen auch in Frage gestellt.

Ich denke nicht, daß wir Tierärzte Angst haben müssen, daß durch Besitzer, die man weiter empfielt, Einnahmen wegfallen. Denn meistens werten diese es durchaus positiv, wenn man als Tierarzt seine Grenzen kennt und offen legt. Und zufriedene Kunden kommen wieder! Wir Tierärzte sollten uns außerdem von dem Gefühl frei machen, daß wir unsere Patienten weg schicken, wenn wir den Rat geben, einen Spezialisten, sei es eine Physiotherapeutin, Ernährungsberaterin, eine kompetente Hundeschule oder einen spezialisierten Kollegen, aufzusuchen. Wir schicken nicht weg, wir weisen den Besitzern den Weg zu einer optimalen Versorgung ihres Tieres. Und genau dies sollte unser Ziel sein.

Hat unser Patient ein Problem, welches wir selbst zu 100% kompetent lösen können, ist das toll, wenn nicht, dann sollten wir unseren Patienten vertrauensvoll in die Hände abgeben, die ihm helfen können!